Vor Jahren bin ich im ehrenamtlichen Kontext einem jungen Mann begegnet, der ein so ausgesprochen starkes Charisma hatte, dass ich in der Zusammenarbeit mit ihm lange Zeit keinen Zweifel hegte und gerne dem nachgekommen bin, was er vorgeschlagen hat.

Doch mit der Zeit konnte ich beobachten, was er im Hinblick auf viele andere Menschen an übergroßem Einfluss erhielt.

Immer selbstverständlicher und übergriffiger fällte er Entscheidungen, be- und verurteilte Menschen und bestimmte unabgesprochen, was zu tun und wo es lang gehen sollte.

Zu diesem Zeitpunkt war er schon lange nicht mehr bereit, sich von uns in seinem Team korrigieren oder gar kritisieren zu lassen und es kam, wie es kommen musste:

Wir trennten uns von ihm.

Nun ist diese Erfahrung sicher keine, die nur im ehrenamtlichen Kontext gemacht werden kann. Auch im beruflichen Zusammenhängen begegnen wir nicht selten Schaumschlägern und Menschen mit übergroßem Selbstbewusstsein.

Oder soll ich hier besser von übergroßer Selbstüberschätzung sprechen?

Gerade im Führungskontext braucht es natürlich Menschen, die selbstbewusst und klar Position beziehen, ihre Meinung haben und dafür auch gerne Reibung anbieten.

Es braucht Vorgesetzte, denen wir vertrauen können, um uns aus unserer Komfortzone zu wagen und ggfs. Neuland zu betreten. Keiner würde einem Weichei folgen oder verunsichernde Schlachtrufe als motivierend empfinden.

Doch der Grat zwischen Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung ist schmal.

Manchmal wissen wir vielleicht selber nicht immer, ob das, was wir sagen, wirklich das ist, was wir können.

Unser Umfeld möchte uns gerne vertrauen, gerade da, wo unser Selbstbewusstsein täuscht. Sie folgen uns und sind im schlechtesten Fall enttäuscht, wenn wir nicht einhalten können, was wir ausgestrahlt haben.

Das Phänomen des „overconvidence“ ist ein Phänomen, das nicht selten auf Führungsetagen anzutreffen ist.

Insgesamt gibt es drei Ausprägungen davon:

  • die eigene Leistungsfähigkeit wird überschätzt
  • die eigene Leistung wird fälschlicherweise für besser als die von anderen gehalten
  • das eigene Wissen wird überschätzt und nicht erkannt, dass es durchaus noch unbekannte Aspekte zu bedenken gibt
Im Führungskontext sind alle drei Ausprägungen fatal.

Damit die Gratwanderung zwischen gesundem Selbstbewusstsein und zu großer Selbstüberschätzung gelingt hier einige Ideen, um dem entgegen zu wirken:

  • Kompetenz im konkreten Kontext ist die Messlatte, wenn jemand führen soll und andere bereit sind zu folgen – nicht das selbstsichere Auftreten, mit der dies Kompetenz gegebenenfalls nur vorgetäuscht wird
  • dazu braucht es objektive Kriterien, wie diese Kompetenz zu bewerten ist – und gleichzeitig eine gesunde Skepsis gegenüber jedweder Form von „impression management“ – wie eingangs erzählt.
  • dazu bedarf es die Kultur, in der Expertise von Bedeutung ist, Bescheidenheit, Selbstkritik und konstruktives Feedback den allegemeinen Ton angeben.
  • wer führt, sollte regelmäßig reflektieren – idealerweise mit einem/einer Sparringspartner/in – was kann ich wirklich, was noch nicht
  • Mitarbeitende sollten bereit sein, Vorgesetzten auch kritisches Feedback zu geben und – ganz im Sinne der Agilität – selber Führung übernehmen, wo er oder sie es ggfs. besser kann.
So wie immer kommen wir aus der Nummer nicht raus: Führung braucht Persönlichkeit – und Persönlichkeit verbreitet nicht nur heiße Luft, sondern bietet tragfähige und vertrauenswürdige Plattformen an.

Um sich und anderen die verlässlichen Rahmenbedingungen zu geben, um zu wachsen.

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